Preisträger und Finalisten

Comicbuchpreis 2025

weisses Rechteck
weisses Rechteck

Dominik Wendland gewinnt den 11. Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung. Der mit 25.000€ dotierte Preis unterstützt Comicschaffende bei der Fertigstellung eines Werkes und gilt als einer der wesentlichen Auszeichnungen in der deutschsprachigen Comicszene.

Über den Preistägerband „Immer alles anders“

Dominik Wendland erzählt in dem prämierten Band „Immer alles anders“ von den Herausforderungen an ein Individuum in der heutigen Gesellschaft. Die Veränderungen, welche die Hauptfigur in der Geschichte durchläuft, sind dabei nie willkürlich, sondern stets Zweck, um die von ihrem Umfeld gestellten Erwartungen zu erfüllen.

Die Jurorin Anette Gehrig vom Comicmuseum Basel begründet die Auszeichnung wie folgt:

„Die Hauptfigur in ,Immer alles anders‘ ist niemand Bestimmtes – und damit Alle. Dies nicht etwa, um der Leserschaft die Identifikation mit ihr einfacher zu machen, sondern weil ihr ihr eigentliches Wesen abhandengekommen ist: Vor einer expressionistisch überhöhten Szenerie stolpert sie durch Tage und Nächte und wechselt dabei Form und Farbe. Um Erwartungen zu erfüllen und Flexibilität anzubieten, erbringt sie Anpassungsleistungen, die sie immer weiter von sich selbst entfremden. Mit einer konsequenten Stilisierung, harten Outlines und monochromen Farbflächen lässt dieser schnelle, atemlose Comic spüren, was der Druck anrichtet, sich immer neu erfinden zu müssen.“

Dominik Wendland (Jahrgang 1991) studierte Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und lebt in München.

„Immer alles anders“ soll 150 Seiten umfassen und 2025 erscheinen.

Die Finalisten des Comicbuchpreises 2025

Der Comickünstler André Breinbauer gelangt mit seinem Werk Blutsauger auf die Shortlist. Die Journalistin und Jurorin Brigitte Helbling schreibt über die Entscheidung der Jury:

„Wien und Vampire – die Kombination leuchtet ein. Kommen noch skrupellose Immobilienhaie dazu, ein gedeckelter Mietzins in einem dieser Altbauten, wo alle wohnen wollen, und ein seltsamer Nachbar, der gerne im Cape herumläuft – dann wird eine Geschichte draus.

Die Umsetzung verspricht viel, hinsichtlich der Farbgebung, dem alt-modernen Wiener Getümmel, und der vielfältigen Perspektivenwechsel, die das Potential eines Erzählens im Comic lustvoll und versiert ausschöpfen.

Der Plot? Astrein. Eine Vampirgeschichte für eine Großstadt, die noch ganz andere Blutsauger kennt – beglückend.“

Mit Das Figur-Zeit-Modell meiner unendlich geliebten Alina Branni überzeugte der Schweizer Zeichner Matthias Gnehm die Jury.

Im Mittelpunkt von Matthias Gnehms großangelegtem Buchprojekt steht die gefährdete Liebe zwischen einer Forscherin und einem Schriftsteller, Alina Branni und Bertrand Hänggi.

So sehr das von Alina entwickelte Figur-Zeit-Modell international als Sensation gefeiert wird, so sehr gerät es zwischen die gesellschaftlichen Fronten von Wissen und Glauben.

Eine Kühnheit von Gnehms Buchprojekt besteht darin, die zwischen den Liebenden entwickelte Umsetzung der Theorie in einen Comic zum genuinen Teil des Buches zu machen und der Theorie  – als Werk im Werk – einen bedeutenden Teil des Raums zu überlassen.

Die ineinander verschränkten Teile werden in verschiedene, jeweils fast monochrom verwendete, Farben getaucht.

Emma und Amir von Bianca Schaalburg

erzählt von den Gefahren vorschneller Urteilsbildung ebenso wie von politischen Intrigen aus dem rechtsextremen Spektrum und nicht zuletzt auch von einer Liebesgeschichte:

Amir, deutsch-irakischer Herkunft, gerät nach einem islamistischen Anschlag in Berlin-Neukölln ins Visier der Polizei, nachdem sein Freund Yusuf, investigativer Journalist, bei diesem Anschlag ums Leben kam und als Attentäter verdächtigt wird.

Um seine und Yusufs Unschuld zu beweisen, macht er sich zusammen mit der Berlinerin Emma auf den Weg nach Paris, Yusufs letztem Wohnort, an dem dieser einem internationalen, rechtspopulistischen Komplott auf der Spur war.

Angesiedelt zwischen Paris und Berlin führt uns der Comic durch Schwimmbäder, Hotels, auf Friedhöfe und ins Kino – und wir Leserinnen und Leser folgen der Geschichte und ihrer visuellen Umsetzung atemlos.

Mit ihren virtuosen Bildkompositionen und ihren eigenwilligen Perspektiven, Ausschnitten und Ansichten hat sie die Jury des Berthold Leibinger Comicbuchpreis überzeugt.

Bei Martin Oesch überzeugt der Plot von Fleischeslust:

Erwin, Metzgermeister kurz vor der Rente, zweifelt an seinem Tun und hat nachts wilde Träume.

Gret, seine Frau und Ladenchefin, vermisst die frühere Nähe zu ihrem Mann und unternimmt etwas.

Oesch, der Comicschaffende hinter dem Werk, ist ausgebildeter Metzger und hat jahrelang in dem Beruf und außerhalb gearbeitet.

Hier wird ,von innen‘ auf Fleischkonsum und Marktvorgaben geschaut, aber auch auf die vielen Alltagsmomente im Leben eines älteren Paars, das zusammen arbeitet und sich zunehmend aus den Augen verloren hat.

Gespräche im Laden, Rauchen auf dem Klo, Schweigen am Küchentisch, Besuch beim befreundeten Bauer, und – auch, was das Aussterben eines Handwerks angeht – deutlich mehr Fragen als Antworten.

Gratweg von Constantin Satüpo überzeugt dadurch, dass Satüpo als Comiczeichner auch ein Maler ist, der behutsam Farbschicht auf Farbschicht legt, um jene Räume zu bauen, in denen er seine Geschichten erzählt.

In seinem Werk berichtet der junge Afghane Hassan, den Satüpo selbst bei einem Arbeitsaufenthalt an der Cité des Beaux Arts in Paris kennengelernt hat, von seiner Flucht über die Balkanroute nach Frankreich im Jahr 2016.

Die schwarzen, blauen, grauen Farbschleier der Erinnerung täuschen dabei nicht über eine präzise rekonstruierte persönliche Erfahrung hinweg, die Einblick in die Auslöser und Folgen von Krieg, Vertreibung und Migration gewährt.

Mit Farbstift und Pinsel spricht Constantin Satüpo zu uns, macht uns neugierig und verführt uns zum Lesen und Weiterdenken. 

Die Arbeit Dr. Shevek – Jeder von uns hatte ein Leben, das vorbei ist von Shevek K. Selbert ist eine berührend geschriebene Rekonstruktion und Aufarbeitung der Auswirkungen der Vergangenheit auf das Heute:

Der Tod des Großvaters, Monate unbemerkt, löst neben Gewissensbissen auch die Beschäftigung mit dessen Leben aus. Bild- und Tonaufzeichnungen, behördliche Dokumente und Urkunden, und vor allem Briefe aus dem Nachlass werden zu tragenden Materialien im Rückblick auf ein gelebtes, fernes Leben. Sie liefern auch Erkenntnisse zum Werdegang des Enkels, der sich als einziger Erbe um alle übrig gebliebenen Dinge des Großvaters, an denen Zeitgeschehen und Mentalitäten einer Generation manifest werden, kümmert. In einer Art Dialog mit dem Verstorbenen bekommt der Enkel einen klareren Blick auf sein eigenes Aufwachsen und kann in der Folge mit verbleibenden Leerstellen, Unsicherheiten und Zweifeln Frieden schließen.  Dieser Dialog legt schichtweise ein verwobenes Geflecht aus Geheimnissen und Unausgesprochenem in einem sanft melancholischen Ton frei, in dem auch absurd-lustiger Humor immer wieder aufblitzt.

Rabensommer von Horst Klein ist ein Comicdebüt, aber das eines erfahrenen Bilderbuchillustrators:

Horst Klein zieht darin alle Register seines graphischen und kindgerechten Erzählens, wenn er die Bemühungen eines Familienvaters schildert, eine verwaiste Krähe aufzuziehen.

Wer da wen aufzieht, ist allerdings noch die Frage.

Unterbrochen von zwanzig lehrreichen zoologischen „Lektionen“ entsteht eine ebenso herzerwärmende wie unterhaltsame Geschichte, die Klein selbst erlebt hat. Und Erwachsene werden an der Selbstironie ebenfalls Spaß finden.

Ragdoll von Axel Meintker nimmt uns mit auf ein turbulentes Zeitreiseabenteuer:

Drei Jugendliche setzen physikalische Gesetze außer Gefecht und springen durch eine Art Zeitloch ins 19. Jahrhundert.

Bei ihrer Rückkehr sind sie damit konfrontiert, dass sie möglicherweise den Lauf der Geschichte manipuliert haben.

Meintker, der als selbstständiger Illustrator in Berlin lebt, erzählt diese verwickelte Story auf dynamisch gebauten, wunderschönen Seiten mit einem Strich, der an die neue klare Linie etwa eines Yves Chaland erinnert.

Das Setting und der Stil dieses All-Age-Comics wirken auf eine sehr charmante Art aus der Zeit gefallen.

Savasana der deutsch-israelischen Künstlerin Ella Cohen erzählt uns in scharfen Schwarz-Weiß-Bildern acht Geschichten über Frauen in Israel.

Sie sind abgründig und skurril und verraten viel über das Leben in einer Gesellschaft, die permanent Gefährdungen ausgesetzt ist.

Missverständnisse, Zufälle, unvermutete Wendungen sind in einem Setting angesiedelt, das noch nichts von den Ereignissen des 7. Oktober 2023 weiß – dennoch changieren die Kurzerzählungen zwischen subjektiver Verletzlichkeit und kollektiver Unsicherheit.

Sie benennen eindrücklich die Brüchigkeiten und Herausforderungen, die das Alltagsleben in Israel seit langem prägen, und geben Denkanstöße in vielerlei Richtungen.