Preisträger und Finalisten
Comicbuchpreis 2017
Die Fallhöhe bei diesem Thema ist gewaltig: In „Das Licht, das Schatten leert“ verarbeitet die Autorin eine Totgeburt. Sie tut dies mit einer Schonungslosigkeit gegenüber sich selbst, die zunächst schockiert. Der anschließende Versuch, zurück in die Normalität zu finden, gestaltet sich dann ebenso quälend wie auch überraschend witzig in seinem Erfindungsreichtum. Ein autobiografischer Comic über ein unbequemes, aber wichtiges Thema, der mit seiner schönen Kolorierung und den halbrealistischen Figuren in gleicher Weise zu Tränen rührt wie – und das ist kein kleines Wunder – schmunzeln lässt.-
Dr. Thomas von Steinaecker
Über die Preisträgerin
Tina Brenneisen, 1977 in Dresden geboren, studierte Psychologie und Philosophie an der TU Dresden und der FU Berlin. Sie arbeitet unter dem Pseudonym PoinT als Comiczeichnerin und Karikaturistin in Berlin und ist Gründerin der Parallelallee, eines kleinen, unabhängigen Verlags für Comics und illustrierte Literatur.
Die Finalisten des Comicbuchpreises 2017 sind:
Hannah Brinkmann: „Hermann“
Es gab einmal eine Zeit in der Bundesrepublik, als die Diskussion um die Wehrpflicht hohe Wellen schlug. Fast vergessen sind heute die Debatten der 1960er Jahre ebenso wie die Schikanen, denen Verweigerer ausgesetzt waren, wie Hermann Brinkmann etwa, der sich aufgrund der Ablehnung seines Antrags das Leben nahm. Mit seinen eigenwilligen, nur auf den ersten Blick naiven Zeichnungen macht der vorliegende Comic diese wichtige Phase in der Geschichte Deutschlands lebendig und erinnert an einen, der für seine pazifistische Gesinnung starb.
– Dr. Thomas von Steinaecker
Nino Paula Bulling: „Dreiecke“
„Dreiecke“ ist ein doppeldeutiger Titel: Einerseits bezeichnet er drei nordafrikanische Résistance-Kämpfer, deren Schicksale Paula Bulling für ihren dokumentarischen Comic recherchiert hat, andererseits verweist er auf die Stoffstücke, aus denen die „Winkel“ der Gefangenen in den deutschen Konzentrationslagern zusammengesetzt waren. Mit ihrer Pionierarbeit auf diesem historischen Feld wirft Bulling neues Licht auf das Verhältnis von europäischer und arabischer Welt. Dafür wählt sie eine sachlich-schematische Darstellungsweise, die nicht Emotionalität befördert, sondern Faktenvermittlung.
– Andreas Platthaus
Kristina Gehrmann: "Der Dschungel"
Hier haben sich zwei gefunden! Eine Comic-Adaption von Upton Sinclairs Schwergewicht „Der Dschungel“ wird nur gelingen, wenn der Strich leicht, aber nicht leichtfertig daherkommt, gerne mit einer Lust an Zeichenfertigkeit, unbedingt mit der Gabe, Bilder ins Fließen zu bringen. All das trifft hier zu, und weckt hohe Erwartungen für das Endergebnis, das in der Wahl seiner Vorlage Mut und Leidenschaft beweist. „Der Dschungel“ ist nicht irgendein Roman, und diese Comic-Künstlerin exakt die richtige, Upton Sinclair einer nächsten Generation wieder näher zu bringen.
– Dr. Brigitte Helbling
Thomas Gilke: „Ali - Hard to be humble”
Für sein Comicbuch über Muhammad Ali, das die Biografie des Boxers episoden- und schlaglichtartig beleuchten möchte, entwickelt Thomas Gilke einen individuellen Zeichenstil. Die starken, aufgrund ihrer formalen und farblichen Reduktion umso wirkungsvolleren Bilder sind mit sicherer Hand komponiert und bilden mit den Texten inhaltlich und visuell eine Einheit. Sie erzeugen mit einfachen Mitteln Atmosphäre. Die vorliegenden Arbeitsproben lassen ein spannendes, ansprechendes Ergebnis erwarten, ihr Autor verdient Ansporn und Anerkennung.
– Professor Dr. Frank Druffner
Serpentina Hagner: „Der Märchenmaler von Zürich“
In den Erzählungen des „schlimmheiligen Miggeli“, stadtbekannt als „Märchenmaler von Zürich“, entfaltet sich ein schrilles Familienpanoptikum Anfang des letzten Jahrhunderts. Serpentina Hagner, Tochter des Miggeli, hat aus diesen Erinnerungen ein Schweizer Sittengemälde gezeichnet: Oral History der anderen, neunten Art.
– Dr. Florian Höllerer
Julia Hoße: „In meiner Erinnerung war mehr Streichorchester“
Zeitlinien erzählt in suggestiven, kraftvollen und zugleich zarten Bildern von erinnerter Familiengeschichte, von Nähe, Sehnsucht und (Un-)Vergänglichkeit. In der Zeitgebundenheit der Erinnerung schält sich zugleich eine Zeitenthobenheit heraus, in der sich das lineare Moment des Vergehens von Zeit aufzulösen scheint. Eigene Erinnerungen an Alltagserlebnisse aus der Kindheit verflechten sich mit generationenübergreifenden Familienerzählungen von Flucht und Vertreibung, gelebtem Leben in der ehemaligen DDR zu einem ausdrucksstarken Bildessay.
– Dr. Stefanie Stegmann
Marijpol: „MÄANDERN“
"Am Beispiel dreier ungewöhnlicher Frauen, die in einer alternativen Realität in einer Wohngemeinschaft leben, verhandelt „Mäandern“ grundlegende Themen. Mit großem Einfühlungsvermögen für die Figuren und einem feinen Humor geht es um den Zusammenhang von Körper und Identität, die Bedeutung von Freundschaft und Arbeit oder den Konflikt zwischen Freiheit und Verantwortung, der sich aus der Begegnung der drei Hauptfiguren mit einer Gruppe verwahrloster Kinder ergibt. Die Body Builderin, die Schlangenfrau und die Riesin beschäftigen sich jede auf ihre Weise sehr intensiv mit der eigenen Körperlichkeit – ein Thema, das auch Marijpols graue, in Pastellfarben kolorierte und leicht verwaschen wirkenden Bilder visuell angemessen vermitteln."
– Lars von Törne
Frank Schmolke: „Nachts im Paradies“
"Eine wuchtige, expressiv gezeichnete Graphic Novel über das Taxifahren in München. Das Werk besticht durch seine glaubhaften Protagonisten und die authentische Schilderung des Milieus."
– David Basler
Sebastian Stamm: „The Stüffens - die unmögliche Zutat“
"Vor dem Hintergrund einer Suchmission zu einem fernen Planeten präsentiert Sebastian Stamm in „The Stüffens – Die unmögliche Zutat“ ein Kaleidoskop an skurrilen Figuren und Kulissen. Das Personal seines als Serie angelegten Science-Fiction-Abenteuers besteht aus satirisch überspitzten Hybriden diverser Genre-Archetypen, die Panels zitieren in ihrer Verbindung geometrischer Elemente mit organisch anmutenden Strukturen Klassiker des Science-Fiction-Comics und Computerspiele wie auch Gemälde der abstrakten Kunst und des Kubismus. Die Handlung verbindet Surrealistisches mit sehr menschlichen Herausforderungen, denen sich die meist in Symbolen sprechenden Akteure stellen müssen – abenteuerlich, absurd und oft sehr komisch."
– Lars von Törne