Preisträger und Finalisten
Comicbuchpreis 2024
Der Preisträger 2024 des Berthold Leibinger Comicbuchpreises ist der österreichische Comiczeichner Franz Suess. Der Preis wurde zum zehnten Mal ausgeschrieben und ist mit 25.000 EUR dotiert.
Über den Preisträger
Franz Suess erzählt in dem prämierten Band „Jakob Neyder“ die Geschichte von dem Außenseiter Jakob, der versucht, seiner Verantwortung für eine Straftat zu entkommen. Ein Verbrechen ohne Not, das in ihm Schuldgefühle auslöst. Der Preisträger ist kein unbekanntes Gesicht für die Jury des Comicbuchpreises der Berthold Leibinger Stiftung. Der Juryvorsitzende Andreas Platthaus (FAZ) begründet die verdiente Auszeichnung wie folgt: „Die neue Geschichte des spät berufenen, aber schon mehrfach für den Berthold Leibinger Comicbuchpreis nominierten Wiener Autors Franz Suess berichtet von einem Niedergang auf Raten. Jakob Neyder hat Schuld auf sich geladen, und wie er damit um- und untergeht, das ist das Thema dieses ebenso virtuos gezeichneten wie erzählten Comics. Suess bleibt den sozialen Außenseitern treu, deren Probleme und Verhalten sie aber mitten in die Gesellschaft stellen. Kein anderer deutschsprachiger Comic-Autor baut derzeit so konsequent an einem Gefüge aus Einzelschicksalen, die sich zum Porträt einer Klasse fügen.“
Der 1961 geborene Franz Suess studierte Malerei und Graphik an der Kunstuniversität Linz. Er lebt und arbeitet in Wien.
Der prämierte Band soll etwa 170 Seiten umfassen und bis Mitte 2024 fertiggestellt werden.
Die Finalisten des Comicbuchpreises 2024 sind:
Die Comickünstlerin Ika Sperling gelang mit Ihrem Werk "Der große Reset" auf die Shortlist. Die Illustratorin Maren Amini, Comicbuchpreis Preisträgerin 2023 und Gastjurorin schreibt: „Die Geschichte zeigt eindringlich, wie es ist, einen geliebten Menschen an Verschwörungsglauben zu verlieren. Als Leser durchlebt man das Herumschleichen um wichtige Themen, das immer lauter werdende Schweigen, die unsägliche Wut und Trauer um jemanden, der die Gesellschaft und damit auch seine Liebsten verlassen hat. Diese schwere Geschichte erzählt Ika Sperling mit leichtem Strich und in lustigen Dialogen.“
Mit „Haus aus Stein“ überzeugten Frauke Angel (Text) und Stephanie Brittnacher (Zeichnung) die Jury. Barbara Buchholz, Jurymitglied und Journalistin, begründet die Entscheidung: „Harte Schicksale in weichem Strich und leuchtenden Farben: Die Kinderbuchautorin Frauke Angel und die Illustratorin Stephanie Brittnacher schildern die Flucht des Mädchens Tikva mit ihrer Mutter vor deren gewalttätigen Partner in ein Frauenhaus. Versteckt in diesem geschützten Rahmen üben Mutter und Tochter einen Neuanfang. Auf Basis der Recherche von Frauke Angel entwickeln Autorin und Zeichnerin gemeinsam den Comic „Haus aus Stein“ und betten Daten und Fakten behutsam ein. Stephanie Brittnacher findet eine Bildsprache, die mit ihrem kinderbuchtauglichen Strich der Perspektive der sechs Jahre alten Tikva angemessen ist, aber auch mit expressiver Schrift und harten Kontrasten etwa von Schwarz und Rot die drohende Gewalt thematisiert. Beeindruckend recherchiert und grafisch erzählt gibt „Haus aus Stein“ Einblicke in eine Welt, die den meisten Menschen aus nachvollziehbaren Gründen nicht zugänglich ist.“
„Maurizio Onano begleitet uns in seinen feinen, sehr humorvollen Zeichnungen durch den Tag, vom Kaffeekochen mit der French Press am Morgen, mit viel Würfelzucker!, bis zu den ersten Grindr-Date-Anfragen, noch bevor, »PING«, die Arbeit für die Uni fertig gestellt werden kann. »In Gucci zu Netto« erzählt von Männern und Männern, von Männern und Autos – und von Frauen, die über Männer schimpfen, die nicht einparken können. »PING«, schon fragt das Smartphone nach weiteren Pics: Auf die wir uns freuen dürfen, auf Barthaare, Dampfkringel und viel Pink.“ Schreibt Teresa Präauer Jurymitglied und selbst frisch gekürte Preisträgerin des Bremer Literaturpreises.
Die Journalistin und Jurymitglied Brigitte Helbling begründet gleich zwei weitere Finalistenarbeiten:
Die Arbeit von Isabel Peterhans (Zeichnung) und Simone Schönett (Text) „Kein Himmel, kein Traum, Tagesmusik“ gibt Einblicke in die Geschichte von Jenischen in Österreich, „von den Anfängen der NS-Diktatur in Österreich über Zwangssterilisierung und Kindeswegnahmen bis hin zu Flucht und Traumata“. Der Fokus der Erzählung liegt auf drei Frauen aus drei Generationen. Alltagsbilder (Marktszenen, Krankenhausbesuch, ein Familientreffen im Wald) markieren Abschnitte in einer Lebenswelt voller Bedrohung, Widerstand und Leid. Kluge Einführungstexte aus Blick der Enkelin im Frauentrio sind der Auftakt zu pointierten, szenisch eingängig umgesetzten Episoden, die Privates in den größeren historischen Kontext setzen und dabei den persönlichen Blick nie verlieren: Ein literarisch-aufklärerisches Comicerzähl-Vorhaben, das in jeder Hinsicht Beachtung verdient.
Die Arbeit von Noëlle Kröger überzeugte ebenfalls Brigitte Helbling. „Selten, eigentlich nie, werden Werwölfe als Rudel gedacht, weniger Vollmond-Aberration als eine soziale Gruppe für sich. In „Meute“, gibt es diese Rudel, und einigen Wissenschaftlern ist gelungen, ein Exemplar daraus gefangen zu nehmen. In einem engen Institutskäfig wird es von der Studentin Margot betreut. Die schwankt zwischen Mitleid und Forscherehrgeiz. Genervt von der Herablassung ihrer männlichen Kollegen verhilft sie dem Tier-Menschen schließlich zur Flucht, unter einer Bedingung: Er soll ihr Zugang zum Rudel verschaffen, für eigene Nachforschungen…. Kröger unterwandert hier mit einem großartig-dynamischen Strich sämtliche Dualismen, die sich im Werwolf-Mythos breitmachen – Gut vs. Böse, Natur vs. Kultur, Frau vs. Mann, etc. Das Projekt steht (erzählerisch) kurz vor seinem verstörenden Abschluss; unbedingt förderwürdig, findet die Jury.“
Der Juryvorsitzende und verantwortliche Redakteur für Literatur und literarisches Leben bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Andreas Platthaus schrieb zu „Schweigen“ von Birgit Weyhe:
Vor neun Jahren erhielt Birgit Weyhe den ersten Berthold-Leibinger-Comicbuchpreis für ihr Buch „Madgermanes“. Nun gehört sie im Jubiläumsjahr wieder zu den Finalisten, mit einem Projekt, das aktueller (leider) gar nicht sein könnte, denn der neugewählte argentinische Präsident Milei hat angekündigt, alle Gedenkstätten zur Diktatur in seinem Land schließen zu lassen. „Schweigen“ über die Verbrechen der Junta würde damit buchstäblich wieder einziehen, während es durch Birgit Wehes Comic gebrochen werden soll, der von zwei Frauenschicksalen in Argentinien erzählt: dem sehr bekannten der Elisabeth Kässmann und dem unbekannten der Ellen Marx.
Stefanie Stegmann, Leiterin Literaturhaus Stuttgart und Jurymitglied stellt die Finalistenarbeit „Vincent: Eine Geschichte über Freundschaft und Demenz“ vor. „Melanie Wigger, 1991 in Solothurn, Schweiz, geboren, erzählt in ihrem Comic die berührende Geschichte von Vincent, einem an Demenz erkrankten, älteren Mann, und seinem Freund Robert, der auch mit fortschreitender Krankheit an seiner Seite bleibt. Vincents räumliche und zeitliche Desorientierung, Angst und Abwehr finden ebenso wie die Verstörung der Freunde und Tochter in knappen Dialogen, eindringlichen Kneipen- und später dann Heimszenen bis hin zu ganzseitigen, atmosphärischen Stadt- und Landschaftsansichten ihren Ausdruck. Melanie Wigger leuchtet auf der Basis eigener Recherchen die Krankheit in ihrer Überforderung aller genau und mit großer Empathie aus, ohne Vincent dabei vorzuführen, bloßzustellen. Mit Pinsel, Tusche und Aquarell und in überwiegend zurückgenommenen Farbtönen setzt sie ihre Geschichte um, mal eher ruhig gehalten, mal in wilde Panels gesetzt – für die Jury eine unbedingt auszeichnungswürdige Arbeit!“
Hannah Brinkmanns Comicprojekt „Zeit heilt keine Wunden“ öffnet uns die Augen über deutsche Zustände zwischen Nationalsozialismus und den Anfängen der Bundesrepublik – insbesondere über eine Nachkriegsjustiz, die im Kampf gegen den Kommunismus ihren Weg findet, die vormaligen Strukturen fortzuführen. Ernst Grube, nach den Nürnberger Gesetzen ein ‚Mischling ersten Grades‘, verbringt seine Jugend in einem jüdischen Münchner Kinderheim. Gemeinsam mit Mutter und Geschwistern wird er 1945 noch nach Theresienstadt deportiert und dort von der Roten Armee befreit. Er organisiert sich in der KPD, kurz vor deren Verbot, und wird nach einer Flugblattaktion in München verhaftet und verurteilt. Einer der ihm gegenübersitzenden Richter ist Kurt Weber, dessen NS-Karriere eine bruchlose Fortsetzung fand. Virtuos zeichnet der Comic beide Lebenslinien nach und setzt sie kontrastierend in Beziehung, gratuliert Florian Höllerer, Leiter des Literarischen Colloquiums Berlin und Jurymitglied.
David Basler Begründer und ehemaliger Verleger der Edition Modern und Jurymitglied begründet die Auswahl der neunten Finalistenarbeit. „Zeter und Mordio“ basiert auf einem Kriminalfall aus dem Jahre 1687, den Glikl bas Judah Leib, die erste deutsch-jüdische Schriftstellerin, im fünften Band ihrer Memoiren beschreibt.
Zeichnerisch souverän und hervorragend erzählt setzt Jens Cornils diese in Hamburg spielende Geschichte um und erinnert uns daran, dass jüdische Kultur, jüdische Geschichte und Antisemitismus in Deutschland bereits weit vor dem Holocaust existierten.