I said, ‘Auf Wiedersehen’
Kindertransport nach Großbritannien 1938/39
1938/39 mussten sich über 10.000 meist jüdische Kinder von ihren Familien verabschieden. Es war ein Abschied, der den Kindern die Flucht vor der nationalsozialistischen Verfolgung ermöglichte. Mit dem sogenannten Kindertransport kamen sie nach Großbritannien und wurden in Pflegefamilien oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Eltern und Kinder hofften auf ein baldiges Wiedersehen.
Die Ausstellung
Die Initiative zur Rettung von überwiegend jüdischen Kindern und Jugendlichen vor nationalsozialistischer Verfolgung steht im Mittelpunkt der Ausstellung I said, ‘Auf Wiedersehen’. Die Ausstellung präsentiert ausgewählte Briefe von fünf jüdischen Familien. Jedes Dokument vermittelt einen Aspekt der schmerzhaften Trennung von Eltern und Kindern. Die Briefe geben Einblick in die ambivalenten Emotionen der im NS-Staat zurückgebliebenen Eltern, die zwischen der Hoffnung auf ein Wiedersehen und der Sorge vor permanenter Trennung schwanken.
Zur Ausstellung wurde ein Katalog erstellt, der auch digital verfügbar ist.
Abschied: Ursula Brann
Ursula Brann kam 1939 mit dem Kindertransport nach England. In einem autobiographischen Interview (2007) liest sie aus einem Gebetbuch zehn Leitsätze ihres Vaters Ferdinand vor. Dieses bekam sie beim Abschied von ihm geschenkt. Nach ihrem Tod ging das Buch verloren. Ursulas Eltern und ihre Schwester blieben bis 1943 in Berlin und wurden schließlich nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ursula blieb ihr Leben lang in London. Sie starb 2015.
Neues Zuhause: Ilse Majer
Ilse Majer wurde als Zehnjährige 1939 mit einem Kindertransport von Wien nach England geschickt. Der Briefwechsel zwischen Ilses Eltern Berthold und Lilly Majer und den Pflegeeltern gibt einen Einblick in Ilses neue Welt: Freundschaften, Sprache, intellektuelle Entwicklung.
Im Juni 1942 wurden Ilses Eltern ins Ghetto Izbica nach Polen deportiert und später ermordet. Ilse blieb in England, bis sie 2003 starb.
Entfremdung: Heinz Lichtwitz
Im Februar 1939 entkam Heinz Lichtwitz im Alter von sechs Jahren mit einem Kindertransport nach Wales. Heinz nahm den Namen Henry Foner an und verlernte seine Muttersprache innerhalb weniger Monate fast vollständig. Aus den Karten spricht die Liebe seines Vaters, aber auch die Sorge vor der Entfremdung seines Sohns.
Max Lichtwitz wurde im Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Henry Foner ist heute 90 Jahre alt und lebt in Jerusalem.
Sehnsucht: Gerda Stein
Gerda Stein gelangte im März 1939 mit einem Kindertransport nach England. Sie lebte dort bei Trevor Chadwick, der ihren Transport mitorganisierte und viele weitere Kinder aus der Tschechoslowakei rettete. Vater Arnold schickte seiner Tochter mit Zeichnungen versehene Briefe, Gerdas Mutter Erna schrieb ihr Gedichte: Zeichen des verzweifelten Bemühen, ihrem Kind Mut zu machen.
Beide Eltern überlebten den Holocaust nicht. Gerda starb 2021 als anerkannte Dichterin.
Ungewissheit: Hannah Kuhn
Die 1928 geborene Hannah Kuhn floh im April 1939 mit einem Kindertransport von Berlin nach England. Hannahs Eltern Herta und Franz Kuhn waren erst mittels Briefen, später über Telegramme des Deutschen Roten Kreuzes im Austausch mit ihrer Tochter und deren Pflegemüttern.
Beide Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Hannah Kuhn heißt heute Ann Kirk und lebt in London. In Vorbereitung auf diese Ausstellung haben wir Ann in London besucht.
Die Ausstellung der Berthold Leibinger Stiftung wurde kuratiert von Ruth Ur und entstand in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis Yad Vashem e. V., der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, der Wiener Holocaust Library, der Association of Jewish Refugees und dem Deutschen Bundestag.
Unter der Schirmherrschaft von
Jill Gallard CMG CVO, Botschafterin des Vereinigten Königreichs in Deutschland
Miguel Berger, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Vereinigten Königreich
Stationen der Ausstellung
31. Januar 2024 bis 23. Februar 2024: Paul-Löbe-Haus im Deutschen Bundestag, Berlin
25. Oktober 2024 bis 25. Januar 2025: Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart
Wir trauen um Hella Pick, die im Alter von 94 Jahren verstorben ist
Hella Pick war als Zeitzeugin, die selbst auf einem Kindertransport nach Großbritannien fliehen konnte, bei der Ausstellungseröffnung.
In der Nacht vom 4. April ist Hella Pick nun im Alter von 94 Jahren verstorben.
Nach der Schulzeit studierte Hella Politikwissenschaften an der London School of Economics und machte später unter anderem als Korrespondentin bei der Zeitung The Guardian Karriere.
Sie galt insbesondere auf dem Feld der außenpolitischen Berichterstattung als Pionierin für Journalistinnen. In Deutschland wurde sie vor allem durch ihre Auftritte in den WDR-Sendungen Der Internationale Frühschoppen von Werner Höfer und des Presseclub bekannt.
Wir trauern um eine einmalige und beeindruckende Persönlichkeit.
Das Team der Berthold Leibinger Stiftung